Es war ein kühler Nachmittag mitten im April, als Goldan an die Stadttore von Gardon kam. Er hatte einen langen und beschwerlichen Weg hinter sich und nun freute er sich auf die Bequemlichkeiten in einer gemütlichen Herberge. Die Stadtwachen fragten ihn nach seinem Namen und winkten ihn dann gleich durch.

Goldan hatte sich die Stadt größer vorgestellt, vielleicht ein wenig kämpferischer, aber was er hier sah, entsprach eher einem mit Stadtmauer umzogenen Dorf. "Grenzer", dachte er und schritt gemächlich die breite Straße entlang. Rechts von ihm konnte er durch eine Gasse einen Tempel sehen, doch er bog links ab. Eine kleinere Straße führte direkt auf ein großes, ringförmiges Gebäude zu.

Die Arena war Ziel seiner Reise gewesen. Hier wollte er sich als Kämpfer Ehre und Reichtum erwerben. Doch wie alles in den Träumen und Wünschen größer und schöner ist, so war auch die Arena für Goldan eher eine Enttäuschung. Er hatte sich große Tribünen, mehrere Kampfebenen und Hindernisse erwartet. In seinen Träumen waren Sitzbänke, Arenaböden und Säulen aus blitzblankem Marmor gewesen, gespensterhaft erleuchtet von kupfernen Feuerschüsseln. Hunderte von begeisterten Zuschauern jubelten auf ihren Plätzen, und tapfere Krieger strahlten in glänzenden Rüstungen. Doch was er hier sah, erinnerte ihn eher an einen Trainingsplatz bei einer mittelmäßigen Militärakademie. Der ovale Arenaboden bestand nur aus festgetretenem Staub, die Zuschauertribünen waren hastig zusammengezimmerte Holzgerüste, und der ganze Platz wirkte leer und verlassen.

"Sie wünschen, mein Herr ?", die helle, fast schon schrille Stimme riß Goldan aus seinen Gedanken. Ein knapp eineinhalb Meter großer Halbling mit blitzblauen Augen sah ihn fragend an.

"Wo kann man sich hier für einen Kampf anmelden?", fragte Goldan ohne wirkliches Interesse.

"Nun, eigentlich bei mir mein Herr, aber zur Zeit sind gar keine Kämpfe. Sie werden erst in knapp zwei Wochen wieder ausgetragen, wenn Markttag ist. Wie heißt ihr, Herr ?"

Die Antwort hatte Goldan nicht überrascht. Schon als er in die Arena gekommen war, hatte er sich gefragt, ob hier überhaupt Kämpfe stattfanden. Mit einem knappen Brummen drehte er sich um und ließ den Halbling ohne Antwort stehen.

Goldan hatte nicht vor, vierzehn Tage in diesem Kaff zu bleiben, aber angeblich waren hier alle Städte so - so hinterwäldlerisch. Schlecht gelaunt schlenderte er durch mehrere Gassen und Straßen, bis er schließlich beim Tempel ankam. Am angrenzenden Platz war gerade eine Gruppe Gläubiger versammelt. Die braunen Kutten mit den langen Kapuzen verrieten Goldan sofort, daß er es hier mit der Bekehrer-Gemeinschaft zu tun hatte. Da er nicht sehr gläubig war, bog er nach links ab und folgte einer Straße nach Süden. Obwohl er erst knapp eine Stunde in Gardon war, hatte er doch schon das Gefühl alles zu kennen, also steuerte er das nächste Gasthaus an.

"Gasthof Post - wie originell", dachte Goldan und betrat die Gaststube durch eine enges Holzportal. Der Duft von Fleisch, Rauch und Alkohol lag in der Luft. Drei Leute - einfache Menschen, Bauern oder Handwerker - saßen an einem Tisch und spielten Karten, während der Wirt am Tresen Bierkrüge trocknete. Goldan verspürte keine rechte Lust, mit jemanden zu sprechen und setzte sich an einen freien Tisch. Der Wirt versuchte mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber abgeschreckt durch die knappen Antworten gab er es bald auf und brachte Goldan sein Bier. Verflixt, dachte Goldan, als er aus Sortan nach Siebenstädten aufgebrochen war, hatte er nicht viel erwartet. Ein kleines Stück Land, Frieden und Ruhe waren ihm genug erschienen. Doch der lange Weg hatte seine Gedanken schnell wieder auf die Abenteuer, Kämpfe und Schlachten gebracht, vor denen er eigentlich geflohen war. Schnell waren Leiden und Blutvergießen vergessen, und noch bevor er Gardon erreicht hatte, wünschte er sich nichts sehnlicher, als sich als Kämpfer einen Namen zu verdienen. Er war gerade auf den Weg nach Palwek gewesen, als ihn ein Bauer mit Fuhrwagen ein Stück mitgenommen hatte. Eben dieser Bauer hat ihm auch von der Arena in Gardon und den herrlichen Kämpfen erzählt. Jetzt hieß es wieder in die Realität zurückkehren. Goldan wollte Siebenstädten noch eine Chance geben und dann wieder in den Norden ziehen. Er zahlte und ging schon früh zu Bett.

Als am nächsten Morgen die Sonne hell zum Fenster herein schien, war Goldans Laune gleich wieder viel besser. Er würde es dieser Welt zeigen, von ihm würden noch die Barden in hundert Jahren singen! Voller Optimismus, der in seiner Familie weit verbreitet war, packte er seine sieben Sachen und ging. Der Wirt riet ihm, die Straße nach Fistun zu meiden, da Wegelagerer die Gegend unsicher machten. Das klang doch nach Abenteuer!

Mit verschmitztem Grinsen dankte Goldan und verließ Gardon durch das westliche Südtor. Er hatte es keinesfalls eilig. Er wollte auf jeden Fall mit den Banditen zusammentreffen, daher ging er betont langsam und spielte nebenbei mit seinem Geldbeutel. Fast hätte er vor Freude laut aufgelacht, als ihm zwei voll bewaffnete Männer den Weg versperrten. Da sie ihre Waffen jedoch noch in der Scheide ließen, machte auch Goldan keine Anstalten anzugreifen.

"Guten Tag, der Herr. Wenn Sie bitte den dem Fürst Feuerklinge zustehenden Wegezoll bezahlen würden.", noch während er sprach ging der ältere der beiden mit geöffnetem Beutel auf Goldan zu. Dieser wartete erst gar nicht. Mit seinem Schwert durchbohrte er blitzschnell den Beutel, so daß duzende von Münzen auf den Boden fielen.

Der jüngere Bandit zog augenblicklich sein Schwert, doch der älter ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und fügte trocken hinzu: "Und uns den Geldbeutel ersetzen." Etwas verwirrt von der Reaktion seines Gegners versuchte Goldan einfach an den beiden vorbeizugehen, als plötzlich etwas Hartes seinen Hinterkopf traf und er vorwärts über den Fuß des alten Räubers stürzte.

Goldan landete mit dem Gesicht voran 20cm vor dem anderen Räuber. Noch bevor er wußte, was überhaupt geschehen war, drückte ein Fuß sein Gesicht in den Schlamm, während ihm jemand seine Beutel abnahm.

"Zuzüglich einer Aufwandsentschädigung macht das...... Wir nehmen alles.", das schmutzige Lachen des Räubers trieb Goldan zur Weißglut. Kaum ließen die Räuber von ihm ab, da sprang er auf, griff nach seinem am Boden liegenden Schwert und stürzte sich in den Kampf.

Sein Schwert erreichte nicht annähernd sein Ziel. Der alte Raubritter wirbelte herum und mit einigen gezielten Hieben entwaffnete er Goldan. Sein Schwert flog einige Meter durch die Luft und blieb etwas entfernt im Boden stecken. Der Ritter grinste ihn an, tätschelte ihn dann mit seinem Schwert und verbeugte sich:

"Jonas Blaubart mein Name, meines Zeichens Schwertmeister von Fürst Feuerklinge. Ihr solltet ein wenig trainieren mein Sohn, ansonsten könnten sich häßliche Narben in Ihrem Gesicht breitmachen."

Ohne an irgendwelche Folgen zu denken, stürzte sich der hitzköpfige und gedemütigte Goldan mit bloßen Händen auf Blaubart. Wieder wurde er von der Heftigkeit der plötzlichen Gegenattacke überrascht. Eine metallene Hand tauchte plötzlich von irgendwo auf und ließen Goldan in einen Wirbel von Sternen und Lichtblitzen versinken.

Das erste, was Goldan nach seiner Bewußtlosigkeit wahrnahm, war getrocknetes Blut an seiner linken Schläfe. Er öffnete vorsichtig die Augen und schloß sie sofort wieder, als gleißendes Sonnenlicht seinen Kopf beinahe explodieren ließ. Er würde liegen bleiben. Sollten doch die Götter darüber entscheiden ob Goldan Rettiger jemals wieder aufstehen würde. Auch wenn es ein trauriges Ende für so eine glorreiche Karriere war.....

Goldan gab sich einen Ruck. Ohne seinen Körper vorzuwarnen, öffnete er die Augen und ließ das helle Licht alle Schmerzen aus seinem Körper herausbrennen. Als er sich einigermaßen erholt hatte, setzte Goldan sich auf. Etwas kleines goldenes rutschte von seinem Bauch. Goldan lag seitlich am Wegrand. Neben ihm lag sein Schwert und die Goldmünze, die die Raubritter "gütiger weise" zurückgelassen hatten.

"Du hast Geld, ein Schwert, das Du führen kannst und ein hübsches Gesicht. Mein Sohn, Deinem Glück kann nichts mehr im Wege stehen!" ,die Worte seines Vaters klangen wie ein Hohn in seinem Gedächtnis wieder.

Oja, ihm konnte nichts geschehen! Ein ironisches Schnaufen war alles, was Goldan dem aufkeimenden Gefühl der Hilflosigkeit entgegensetzen konnte. Vorsichtig befühlte er seinen Kopf. So wie er jetzt aussah, würde es lange dauern, bis ein Mädchen ihn wieder anschauen würde.

Wasser - er mußte trinken und sich waschen. Etwas im Norden hinter einem Hügel hörte er das vertraute Plätschern, das Wellen am Ufer erzeugen. Ein Glück, daß der Gardonsee so nahe lag. Während sich Goldan zum Wasser schleppte vielen ihm wieder die trostreichen Worte seines Vaters ein: "Ein Schwert und einen harten Willen sind alles, was ein junger Mann braucht, um sein Glück zu machen." So hatte auch sein Vater angefangen. Als Sohn eines kleinen Schusters hatte er sich den Weg zu einem Offizier der Armee von Sordanien erkämpft. Sein Vater war eben ein toller Kerl! Darum lag Goldan wahrscheinlich auch soviel daran, als erfolgreicher Kämpfer vor seinen Vater treten zu können.

Seit seinem 10 Lebensjahr, als er in der Akademie aufgenommen wurde, versucht Goldan der beste Kämpfer der Welt zu werden. Der Erfolg war bescheiden. Er hatte als einfacher Soldat im Kampf gegen die Barbarenstämme gekämpft und war nach knapp sieben Monaten aus der Armee ausgeschieden, als er die Leiden und die Nöte der Verwundeten nicht mehr sehen konnte. Zu seinem Vater getraute er sich nicht mehr, und so verbrachte er einige Wochen im Schmutz der Straßen von Sortan.

Als der Hunger zu groß wurde, überwand er seine Angst und kehrte zu seinem Vater zurück. Dieser hätte ihn auch gerne wieder zu sich genommen, doch Goldans Stolz ließ das nicht zu. Er konnte nicht der Verlierer in den Augen seines Vaters bleiben. Also ließ er sich etwas Geld geben - knapp 200 Goldmünzen - und ging mit dem Gelübde erst wieder zurückzukehren, wenn er sich einen Namen gemacht hatte.

Wie schnell man doch 200 Goldmünzen los ist. Vom Wasser aus lächelte ihn sein verdrecktes Spiegelbild an. Nein, aufgeben kam gar nicht in Frage!

Der Weg nach Fistun war ihm endlos erschienen, aber schließlich stand er doch vor dem hoch aufragenden Tor der Stadt. "Kein Einlaß nach 19.00", war die knappe Auskunft der Wache. Weder Fluchen noch Betteln half Goldan weiter. Es würde eine kalte Nacht werden.

In einigen Städten war es üblich, kleine Holzhaufen vor der Stadt zu hinterlegen, um Reisenden den Aufenthalt wenigstens ein wenig zu erleichtern. Trotzdem ging diese Tradition in mehr und mehr Städten ein, vor allem seitdem häufig Wegelagerer und Banditen bei den Städten lagerten.

Um so erfreuter war Goldan, als er einen kleinen Holzhaufen erblickte. Er nahm sich einige Holzscheiter und zündete sich ein kleines Feuer an. Er wollte sich gerade hinlegen, als eine kleine Gestalt ans Feuer herantrat.

"Darf ich...?",noch bevor Goldan geantwortet hatte, saß der Fremde schon am Feuer. Er war in einen braunen Umhang gekleidet und der Widerschein des Feuers spiegelte sich auf seinem blassem Gesicht, aus dem eine knollige Nase hervorragte. Zwei lustige braune Augen funkelten Goldan an.

"Mein Name ist Hewig Schnellfuß. Du bist wohl ein Krieger? Wie heißt Du? Ist das Dein Schwert da? Haben das Zwerge gemacht? Wo hast Du bloß diese schlimme Wunde her? Ah, wahrscheinlich eine Rauferei! Wegen einem hübschen Mädchen? Wie heißt sie? Hast Du gewonnen?"

Ein Kender! Goldan griff instinktiv nach seinem Geldbeutel, als ihm einfiel, daß er gar kein Geld mehr besaß. Plötzlich wurde sich Goldan bewußt, daß der Kender noch immer auf eine Antwort wartete. Aber auf welche Frage?

"Na, ich bin heilfroh, jemand gefunden zu haben. Es ist immer so schrecklich langweilig eine Nacht alleine zu verbringen. Ich wette, Du weißt einige lustige Geschichten zu erzählen! So wie mein Onkel Dickbauch. Der wurde nie müde Geschichten zu erzählen. Wann immer man bei ihm zu Besuch kam, war er gerade damit beschäftigt, eine seiner vielen Geschichten zu erzählen. Am häufigsten aber erzählte er die Geschichte, wie er seinerzeit den Eisdrachen Frido überredet hatte, ihn nicht zu fressen, indem er so lange auf ihn eingeredet hat, bis er eingeschlafen ist. Der Drache natürlich, nicht Onkel Dickbauch. Der nämlich hat sich dann heimlich aus der Höhle geschlichen. Jetzt leider ist Onkel Dickbauch tot. Meine Tante sagt, daß er einem Steinriesen eine Geschichte erzählen wollte, daß der undankbare Riese ihn dann aber mit einem Stein zerquetscht hat. Ich persönlich glaube aber, daß Onkel Dickbauch nur unabsichtlich von dem Felsen getroffen wurde, den der Riese versehentlich losgetreten hat."

Der Kender redete so schnell, daß Goldan mit dem Hören nicht nachkam. Als Hewig schließlich tief Luft holte, unterbrach er ihn blitzschnell: "Es freut mich außerordentlich, Deine Bekanntschaft zu machen Hedwig, aber ich für meinen Teil war gerade in Begriff schlafen zu gehen. Im übrigen ist mein Name Goldan, und ich bin dafür bekannt, viele zu geschwätzige Kender zum Schweigen gebracht zu haben. Wenn Du willst, kannst Du bei meinem Feuer bleiben. Gute Nacht!"

"Wie?"

"Wie was?"

- "Wie hast Du sie zum Schweigen gebracht?" Der Kender erntete einen eisigen Blick.

"Und ich dachte schon, Du wärst nicht so ein langweiliger Typ wie die anderen!" Der Kender erhob sich, streckte sich zu seiner vollen Größe von knapp einem Meter und ging. Er würde sich die Nacht auf eine andere Art und Weise vertreiben.

Gedankenverloren griff Hedwig in einen seiner Beutel und schnepfte eine Goldmünze in die Luft, nur um sie gleich darauf wieder aufzufangen. Wie nachlässig, so eine Münze einfach liegen zu lassen! Es könnte sie ja jemand stehlen! Aber jetzt hatte er sie ja und er würde sie gut für ihn aufheben. Jeden Tag eine gute Tat.