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Das kalte Bier tat Rewen ausgesprochen gut. Nach seinem langen Ritt von Kastellen über die staubigen, in letzter Zeit wenig gepflegten Straßen, war seine Kehle trocken und sein Rücken steif. Lange Ritte war er gewohnt, doch sein letzter Auftraggeber hatte ihn um besondere Eile gebeten, und so war er länger als sonst üblich im Sattel gesessen.

Die Schenke hier, der süße Grog hieß sie, wie sich Rewen dunkel an das kleine Holzschild erinnerte, war eine der besseren Schenken in Düülen. Sie lag gleich hinter dem Kaaletor direkt am Fluß.

Früher, so erinnerte sich Rewen, konnte man durch das hintere Fenster die Rückseite des Arbeitshauses am anderen Ufer sehen, doch heute zog sich die graue Mauer der Kaale entlang, die den gefährlichen Südteil der Stadt vom Norden trennte. Die Nordländer hatten sie gebaut, gleich nachdem sie Mirteelen erobert hatten. Überhaupt hatte sich vieles geändert seit damals, und bei weitem nicht alles gefiel Rewen. Zwar hatte der Umsturz ihn nicht, wie so vielen anderen, den Arbeitsplatz, die Freiheit oder gar das Leben gekostet, aber der Stolz der Mirteelener war gebrochen worden, und nur wenigen gefiel es, sich von den arroganten Nordländern befehlen zu lassen.

Rewen ließ seinen Blick über die anderen Tische gleiten. Viele der Anwesenden schienen gut verdienende Händler oder Geschäftsleute zu sein, was bei den hiesigen Preisen auch nicht verwunderlich war, aber an einem Tisch saßen zwei junge Burschen beieinander und unterhielten sich aufgeregt.

Nordländer. Die für ihr Alter große Gestalt und ihr blondes Haar zusammen mit den blauen Augen ließen keinen anderen Schluß zu. Beide Jungen waren etwa gleich alt und gleich groß. Der eine von ihnen war in einen dunkelgrünen Mantel gekleidet, in den silberne Muster gestickt worden waren, der andere trug eher schlichte Arbeitskleidung aus Leder. Vor den beiden am Tisch stand eine kleine Metalldose mit einem etwas merkwürdig aussehenden Verschluß. Der Junge in der Lederkleidung fingerte aufgeregt und beständig plappernd daran herum. Der andere wirkte nur wenig interessiert. Erst auf den zweiten Blick viel Rewen die verblüffende Ähnlichkeit der beiden auf. Sie mußten wohl Brüder sein.

Wenn sich schon die Sprößlinge der Nordländer den Aufenthalt in so teuren Lokalen leisten konnten, dachte Rewen, besteht für Mirteelen nicht mehr viel Hoffnung. Als Eroberer waren sie gekommen, als Besetzer geblieben, doch mittlerweile hatten sie das ganze Volk durchsetzt.

Mit einem resignierenden Seufzer leerte Rewen sein Glas, ließ einige Sirle auf die Theke fallen, und packte seine Sachen. Noch mußte er den Brief abliefern und den zweiten Teil seiner Bezahlung erhalten, aber das durfte ein Leichtes sein. Die Wache am Tor hatte ihm den Weg sofort beschrieben. Dieser Meister Owin mußte ja bekannt sein, wie ein bunter Hund. Dem alten Kurier sollte es recht sein. Er zog sich seine Kappe über die Ohren und machte sich auf den Weg.

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"Sieh her Koli! Das ist das beste, was du je gesehen hast, und dabei ist es so einfach!" Tahaak lehnte sich aufgeregt zu seinem Bruder vor. Er war so begeistert von der Sache, daß ihm gar nicht auffiel, daß er nicht die volle Aufmerksamkeit seines Gegenübers hatte.

"Eigentlich ist es ja nichts besonderes. Alles ganz einfach. Aber irgendwann muß man erst einmal die Idee dazu haben, nicht wahr? Also paß auf: Die Dose ist mit normalen Lampenöl gefüllt bis ungefähr hierhin", er deutete mit der Handkante auf knapp unterhalb der oberen Kante, "dann ist da ein Stück Stoff. Zuerst habe ich es ja ohne den Stoff versucht, aber da funktionierte es nie so richtig. Es war einfach zuviel Öl, verstehst du? Ich habe probiert und probiert, und wollte die ganze Sache schon fast vergessen, als mir das mit dem Stoff endlich einfiel. Der Stoff saugt sich mit dem Öl voll, verstehst du? Eigentlich wie der Docht einer Lampe, aber größer. Es muß auch größer sein, sonst treffen die Funken nicht, ist doch klar oder? Aber der Trick an dem ganzen ist eigentlich erst hier ganz oben. Siehst du das Rädchen? Also das hintere Ende ist ganz rauh geschliffen, wenn man es dreht, reibt es an dem Funkenstein, den ich dahinter befestigt habe. Und wenn man es schnell genug dreht, so schlägt er Funken, die dann den mit Öl durchtränkten Stoff entzünden. Einfach, nicht? Kein umständliches Feuer schlagen mehr. Man dreht und - ritsch - es brennt. Schneller geht es nicht einmal mehr mit Magie!"

Kolinhaa zog skeptisch die Augenbrauen hoch. Er wußte, daß sein Bruder das Letzte nur deshalb gesagt hatte, um ihn zu ärgern, aber es ärgerte ihn doch. Die ganzen Spielzeuge, die Tahaak da zusammen mit seinem Meister entwarf, waren ja ganz nett, aber die Nützlichkeit der Magie konnten sie wohl kaum in Frage stellen.

"Sieh her und staune!" Mit einer hastigen Bewegung rückte Tahaak die kleine, seltsame Öldose in die Mitte des Tisches und drehte einmal rasch an der Metallschraube. Es knirschte, es flogen Funken, bloß Feuer wollte sich keines zeigen. Mit leicht verkniffenem Gesicht wiederholt Tahaak seine Vorführung. Abermals mit dem selben Mißerfolg. Ohne die Miene zu verziehen, streckte Kolinhaa seine rechte Hand aus, den Daumen nach oben.

"Brauchst du Feuer?" Eine kleine gelbe Feuerzunge schlug aus dem Daumen empor, brannte dort eine kleine Weile, bis Kolinhaa sie schließlich wieder verlöschen ließ. Als er das zerknirschte Gesicht seines Bruders sah, konnte er sich das Grinsen nicht mehr verkneifen.

"Komm schon Haaki! Magie ist eben einfach schneller und verläßlicher." Tahaak drehte noch ein paar mal vergeblich an der Schraube, und packte seine Wunderdose dann verärgert weg.

"Aber verstehst du denn nicht, Koli? Was du bei Meister Groham lernst ist alles schön und gut, aber es nützt den Menschen nicht. Natürlich kannst du tolle Sachen und wirst vielleicht einmal der mächtigste Magier, aber für die Menschen ändert sich dadurch gar nichts. Magie ist schön, Magie ist stark, aber sie ist eben nichts für jedermann. Was ich versuche, kann jeder. Technik beherrscht, wer immer es will. Alles was es braucht, ist ein wenig gesunden Verstand und das Wissen um gewisse Regeln der Natur."

"Wie kannst du sagen, daß Magie den Menschen nichts nützt?" Kolinhaa schoß das Blut in den Kopf und färbte ihn rot. Seine ganze Ausbildung bei Meister Groham hatte doch seinen nordländischen Jähzorn nicht völlig vertreiben können. "Hilft es den Menschen etwa nicht, wenn jemand ihre tödlichen Wunden heilt? Hilft es ihnen nicht, wenn kluge Männer darüber wachen, daß die Ernte nicht verdorrt oder fault? Hilft es ihnen nicht, wenn"

Tahaak hob abwehrend die Hände. "Natürlich hilft ihnen das, Koli. Aber wenn der Magier geht, bleibt ihnen nichts, womit sie sich selbst helfen können. Du kannst das vielleicht nicht verstehen. Du hast die Gabe. Aber ich weiß, wie es für uns andere ist. Man ist abhängig. Abhängig davon, daß andere tun, was gut für einen ist. Und wenn sie es nicht tun? Dann gibt es nichts, was man dagegen machen könnte. Von dem Tag an, als es klar war, daß ich die Gabe nicht habe, hatte ich dieses Gefühl. Schlagartig warst du anders, und das, wo wir uns doch so gleichten!"

Kolinhaas Zorn war verflogen. Gut erinnerte auch er sich noch an den Tag der Probe, als er und sein Zwillingsbruder von Meister Groham geprüft wurden. Er war glücklich gewesen, als ihm sein Meister gratulierte, aber den Schatten auf Tahaaks Gesicht würde er nie mehr vergessen. Es war, wie sein Bruder sagte, von dem Tage an hatte sich ihr Leben geteilt.

Er war noch in der selben Woche zu Meister Graham gezogen, um seine Lehre zu beginnen. Tahaak durfte vorerst noch bei den Eltern wohnen bleiben, erhielt aber den besten Hauslehrer Düülens. Als Sohn des bekanntesten Baumeisters der Stadt war der beste gerade gut genug für ihn. Bald entdeckte er seine Begabung und sein Interesse für die Mathematik und die Naturwissenschaft und so landete er schließlich bei seinem Meister, dem wohl schrulligsten Erfinder des ganzen Reiches. Aber auch wenn sich die Beziehung zwischen ihnen im Laufe der Zeit wieder verbessert hatte, so wurde es doch nie wieder wie zuvor.

"Verstehst du, Koli? Mit den Dingen, die ich baue, kann ich das wieder etwas ausgleichen. Außerdem muß man sich weiterentwickeln. Weißt du, was mein Meister immer sagt? Hätten sich unsere Vorväter nur auf die Magie verlassen, hätten wir heute noch nicht einmal Wägen und Boote."

Kolinhaa war nicht mehr in der Stimmung, mit seinem Bruder zu diskutieren. "Ich muß gehen. Meister Groham wartet sicher schon auf mich, und wenn ich mich verspäte hilft mir weder meine Magie, noch deine Feuerdose etwas. Dann ist dicke Luft!"

"Dicke Luft? Mensch, Koli, du bist genial! Das ist überhaupt die Lösung. Als ich die Feuerdose das erste mal probierte, ging sie ohne Umstände, und weißt du auch warum? Der Stoff war noch nicht so vollgesogen wie jetzt! Das Öl eignet sich einfach nicht, die Funken zu fangen, aber wenn ich nur wenig Öl habe, ganz kleine Tröpfchen..."

Kolinhaa mußte schmunzeln. Wenn erst einmal ein kleiner Funke in den Kopf seines Bruders fuhr, dann brannte es! Eigentlich hatte er kein Wort von den Ausführungen seines Bruders verstanden, aber er war froh, ihn wieder auf andere Gedanken gebracht zu haben. Zufrieden beglich er die Rechnung für sie beide - als Lehrling eines Magiers verdient es sich wesentlich besser - und verließ seinen ohnehin in seine Gedanken versunkenen Bruder.